Sophie Liebhardt - Der Haushalt eines Dämons

Kapitel 2: Staub und Rost

Am nächsten Morgen wurde Felix von einem Bündel Sonnenstrahlen geweckt, die durch die großen Fenster fielen. Er blinzelte. Es fühlte sich verdammt früh an. Wie lange hatte er geschlafen? Eine Stunde? Zwei? Viel zu kurz. Doch in der alten Villa mit dem Dämon unterm Dach und dem Monster im Keller war an Schlaf nicht mehr zu denken. Und er musste dringend aufs Klo.

Als er aufstand, schmerzte sein Nacken vom unbequemen Liegen auf dem Sofa. Und es war auch keine so gute Idee gewesen, in Jeans zu schlafen.

Es raschelte, während er durch Chips- und Süßigkeiten-Verpackungen watete. Dann trat er in die Eingangshalle und schaute auf die kunstvoll geschnitzte Uhr, die über der Tür hing. Halb acht sagte das Ziffernblatt.

Felix blickte sich unschlüssig um. Er hatte keine Ahnung, wo sich das nächste Klo befand.

»Luise?«, flüsterte er. Dann wiederholte er es eine Spur lauter.

Doch es kam keine Antwort. Nur der Wind, der leise durch die Ritzen der Haustür pfiff. Ob sie schlief?

Keine Zeit, lange darüber nachzugrübeln. Schwefel hatte von Schlafzimmern im ersten Stock gesprochen. Vermutlich gab es dort auch ein Bad, also stieg Felix eine der beiden Treppen hinauf.

Vor ihm erstreckte sich ein langer Gang mit vielen Türen auf beiden Seiten. Er kam an zwei Schlafzimmern mit Himmelbetten vorbei, dann endlich ein Badezimmer. Die Armaturen sahen so antik aus, als gehörten sie in ein Museum. Ein Glück, dass sie sich nicht nur als Ausstellungsstücke herausstellten. Er gab fließendes Wasser und die Klospülung tat.

Was als Nächstes?

Die Villa erkunden. Er musste wissen, wo sich was befand. Sich im Geist ein Bild seiner Umgebung zusammenbauen.

Im ersten Stock gab es Schlafzimmer und Bäder, alle im gleichen Stil, außerdem eine kleine Abstellkammer mit Besen und Mops und uralten Reinigungsmitteln, deren Etiketten bis zur Unkenntlichkeit verblasst waren.

Die Treppe, die hinauf in den zweiten Stock führte, mied Felix und stieg wieder ins Erdgeschoss hinab.

Im linken Flügel gab es lauter Räume, mit denen man so seinen Reichtum zur Schau stellen konnte: ein Arbeitszimmer mit massivem Schreibtisch, eine Bibliothek mit deckenhohen Regalen und ein Billardzimmer. Das gelang allerdings nicht wirklich. Durch die Staubschicht, die so dick auf allem lag, dass man eigentlich von einem Staubteppich sprechen musste, wurde alles grau und eintönig. Leblos und verlassen.

Das Fenster hinter dem Billardtisch bot einen guten Blick auf den Garten. Der Pool war bis auf ein paar traurige Regenpfützen leer und der Rasen war zu einer wilden Wiese mutiert, die man wohl besser mied, wenn man sich nicht Unmengen von Zecken holen wollte.

Im rechten Flügel gab es einen Speisesaal mit einem langen Esstisch, der aussah, als hätte schon seit Jahrzehnten niemand mehr daran gesessen. Einen Raum weiter, in der Küche, hingen jede Menge Pfannen und Töpfe und allerhand andere unbenutzte Kochutensilien, während sich darunter Pizzakartons und die Überreste gegessener Fertiggerichte stapelten. Neben einem alten Gasherd standen zwei moderne Kühlschränke, ein seltsames Bild. Letztere luden gerade dazu ein, sie zu öffnen. Einer war randvoll mit Bierflaschen gefüllt. Bis auf das Gemüsefach, in dem eine einzelne, verschimmelte Zitrone lag. Der andere entpuppte sich als Gefrierschrank, der einen ordentlichen Nachschub an Fertigpizzen, Mikrowellenkost und Co. zu bieten hatte. Das reinste Paradies für alle berufstätigen Junggesellen und kochfaulen Jugendlichen, wo – das gab er bereitwillig zu – Felix sich dazuzählen würde.

Er schaute auch in die Küchenschränke. Ein paar Konserven: Suppe und Sardinen. Zwar schon lange abgelaufen, aber harmlos. Ganz anders verhielt es sich mit einem Schrank, aus dem es so fürchterlich stank, dass Felix schlecht wurde. Er schloss ihn sofort wieder, registrierte aber noch, dass es sich um verfaulte Kartoffeln handelte. Danach ging es sehr viel vorsichtiger vor, hielt bei jedem Öffnen die Luft an. Doch er stieß nur auf den den Snack-Vorrat, der so voll war, dass ihm ein paar Chips-Tüten entgegen fielen. Er stopfte sie zurück in den Schrank, bekam ihn gerade so wieder zu.

Gegenüber der Küche gab es eine verschlossene Tür. Kein gutes Zeichen. Doch der Schlüssel steckte, lud geradezu dazu ein, ihn zu benutzen …

Eine Weile stand Felix davor, bis er schließlich seiner Neugier nachgab. Eine steile Treppe führte in die Dunkelheit des Kellers hinab. War aus der Tiefe ein Flüstern zu hören? Nein, das war bestimmt nur Einbildung. Mit einem mulmigen Gefühl schloss Felix die Tür und drehte den Schlüssel zur Sicherheit zweimal um.

Was für eine Erleichterung, dass sich der letzte Raum im Gang als banale Waschküche entpuppte.

Damit war die Besichtigung abgeschlossen und Felix fühlte sich nicht mehr ganz so verloren in dem großen Haus.

Zum Frühstück aß er eine Tüte Chips und ein paar Müsliriegel, spülte alles mit einem Glas Leitungswasser hinunter, auch wenn dieses leicht bedenklich schmeckte. Doch außer dem Kühlschrank-Bier hatte er nichts zum Trinken gefunden und das würde er beim besten Willen nicht runterkriegen.

Und dann hatte er auf einmal nichts mehr zu tun und etwas Seltsames passierte: Ihm wurde langweilig. In einer Villa, in der es spukte. Da es nichts Besseres zu tun gab, konnte er genauso gut das tun, was Schwefel ihm aufgetragen hatte.

Ob es in der Küche Müllbeutel gab? Er hatte bisher nicht in alle Schubladen geschaut, also vielleicht hatte er Glück.

Er hatte erst eine aufgezogen, da ging ein Ächzen durch die Wände. Als würde sich das gesamte Haus strecken.

»Guten Morgen«, sagte Luise.

Sie klang noch heulender als in der Nacht zuvor. Vielleicht ein Gähnen? Offenbar hatte sie wirklich geschlafen.

Nachdem er den kurzen Schreckensmoment überwunden hatte, fand Felix seine Stimme wieder: »Morgen.«

»Suchst du etwas?«

»Müllbeutel.«

»Ah, ja. Die sind hier.«

Am anderen Ende der Küche schwang eine Schublade wie von Geisterhand auf. Wobei, das »wie« konnte man streichen.

Die Müllbeutel darin hatten verschiedene Größen und sahen allesamt erstaunlich neu aus. Felix nahm sich eine Rolle von den ganz großen.

Er begann in der Küche und machte mit dem Salon weiter, bis er alle Verpackungen aufgesammelt hatte. Ganze zehn Säcke ergab das. Und nochmal zwei für die Flaschen und Dosen. Das musste ein Vermögen an Pfand sein.

Daheim hatte Mama immer gemeckert, dass er nie im Haushalt half. Doch jetzt kam er so richtig in Fahrt, er war gar nicht mehr zu bremsen. Er fand einen altersschwachen Staubsauger, der ganz furchtbar hustete, aber noch stark genug war, um die Krümmel vom Teppich zu saugen.

Nachdem Felix das gesamte Erdgeschoss gesaugt hatte, war der Beutel voll und Felix sank erschöpft aufs Sofa. Dass das so anstrengend war.

Bis dahin hatte Luise größtenteils geschwiegen, hatte nur ein paar kleine Tipps gegeben. Jetzt sagte sie: »Versteh das bitte nicht falsch, ich weiß, es ist nicht aus freien Stücken, aber ich bin froh, dass du hier bist. So sehr hat sich schon lange niemand mehr um mein Haus bemüht.«

Das machte Felix verlegen, Luise klang so traurig. »Gern geschehen.«


Felix zuckte zusammen, als die Tür geöffnet wurde. Draußen wurde es bereits dunkel und nachdem er den gesamten Nachmittag über mit einem Staubwedel bewaffnet gegen das eintönige Grau gekämpft hatte, war er kurz davor, schon wieder auf dem Sofa einzuschlafen. Er musste wirklich aufpassen, dass das nicht zur Gewohnheit wurde.

Schwefel kam auf ihn zumarschiert und drückte ihm einen dicken, zerfledderten Wälzer in die Arme. Ohne ein Wort verschwand er und tauchte kurz darauf, einen Stapel Schachteln balancierend, wieder auf. Er ließ alles neben Felix aufs Sofa fallen: Kerzen, Tafelkreide und Streichhölzer.

»Also.« Schwefel klatschte in die Hände. »Zeit für deine erste Beschwörung.«

Er nahm das Buch wieder an sich, blätterte darin herum, bis er die richtige Seite fand, und gab es Felix zurück.

Die Seite war am Rand angenagt – wahrscheinlich von einer Ratte – und mit Text vollgekritzelt. Mit seiner verschnörkelten Schrift und inkonsistenten Rechtschreibung war er schwer zu lesen. Trotzdem konnte Felix die Überschrift entziffern, Rost, und erahnen, dass es sich um ein ausführlich beschriebenes Ritual handelte.

»Lies es dir durch und führ es genauso aus. Das sollte für den Anfang einfach genug sein.«

»Okay …?«

Felix las den gesamten Text, auch wenn es ihn ein wenig ablenkte, dass Schwefel ihm dabei über die Schulter schaute. Dann schob er die Sofas aus dem Weg – wobei Schwefel keinen Finger rührte, sondern ihn nur weiter beobachtete – und rollte den Teppich zusammen, um dort Platz für einen Kreis aus Kreide zu machen. Keine so gute Idee. Unter dem Teppich hatte sich so viel Staub gesammelt, dass Felix furchtbar niesen musste. Einen Besen brauchte er also auch noch.

Offensichtlich dauerten Schwefel die Vorbereitungen viel zu lange. Als Felix mit dem Besen wiederkam, hatte er sich auf eines der Sofas gelegt und begonnen, auf seinem Handy zu scrollen – eine wahrhaft universelle Methode der Langeweile-Beseitigung.

Sobald der Boden endlich frei war, zeichnete Felix den Kreis. Das Ergebnis war sehr eiförmig. Der zweite Versuch genauso. Der dritte war ganz passabel. Mitten hinein zeichnete er mehrere Linien, die sich überkreuzten. Es sah fast aus wie ein Pentagramm, aber nicht ganz. Als Nächstes kamen die Kerzen, die er in den angegebenen Ecken platzierte und entzündete. So weit so gut.

Fehlte nur noch die Beschwörung. Vermutlich handelte es sich um Latein. Sicher war er sich allerdings nicht, in der Schule hatte er das Fach nie belegt. Es fühlte sich seltsam an, die fremden Worte aus seinem eigenen Mund zu hören. Wie ein Schuh, der nicht richtig passte, der erst noch eingelaufen werden musste. Felix hofften nur, dass er alles richtig aussprach. In Filmen gingen Versprecher doch immer übel aus, oder nicht?

Aber offenbar hatte er alles richtig gemacht, denn die Kerzen loderten orange-rot auf und in der Mitte des Kreises zog sich schwarzer Nebel zu einer Gestalt zusammen. Kleine, spitze Hörner, dunkelrotes Fell, ein geringelter Schweif und tiefrote Augen, die Felix anfunkelten.

»Was willst du, Sterblicher?«

Es wäre sicher unheimlicher gewesen, wenn der Dämon nicht die Größe eines Zehnjährigen gehabt hätte.

»Also … ich …« Felix’ Blick huschte zu Schwefel, der sehr abgelenkt zu sein schien.

Die Augen des kleinen Dämons wurden schmal, dann huschte Verstehen über sein Gesicht. »Du hast keine Ahnung, was du da tust.«

Er musterte die Linien am Boden, dann verzog er das Gesicht zu einem Grinsen, das seine feinen, scharfen Zähne zeigte. Ganz und gar nicht besorgniserregend. Einen Moment später trat er über die weiße Linie. Er verließ tatsächlich den Kreis. Dabei konnte er so etwas doch gar nicht, oder?

Felix wich zurück. Mit jedem Schritt wuchs der Dämon, bis er Felix schließlich überragte.

Die Kerzen flackerten in angespannter Erwartung, ließen Schatten über die Wände huschen, während Felix’ Herz einen beachtlichen Sprint hinlegte.

Da stieß er mit dem Rücken gegen jemanden.

Die einzige Reaktion, die seinem Körper darauf einfiel, zwischen zwei Dämonen eingesperrt zu sein, war zu erstarren.

»Rost«, sagte Schwefel liebevoll, »wie schön, dich zu sehen.«

Der Dämon hielt inne, kniff die Augen zusammen. »Schwefel?« Wie ein Ballon, dem die Luft entwich, schrumpfte er auf seine ursprüngliche Größe. Er senkte den Blick und spielte mit seinem Schweif. »Entschuldige … In deinem neuen Körper habe ich dich gar nicht erkannt …«

»Mein Diener ist noch ein wenig unerfahren. Daher wäre ich dir sehr verbunden, wenn du ihn in Ruhe ließest. Am besten gehst du wieder.«

»Ja, natürlich.« Rost setzte ein erzwungenes Lächeln auf. »War schön, dich mal wieder zu sehen.«

Schließlich verschwand er in einer schwarzen Nebelwolke.

Felix wollte sich gerade umdrehen. »Dank- …« Da versetzte Schwefel ihm einen Schlag auf den Hinterkopf.

»Au!«

»Blamier mich nicht so vor meiner Verwandtschaft!«

Wenn man bedachte, wie leicht Schwefel den anderen Dämon eingeschüchtert hatte, war es wahrscheinlich keine gute Idee, aber Felix musste sich einfach Luft machen: »Was habe ich denn bitte falsch gemacht? Ich bin doch genau der Anleitung gefolgt.«

Schwefel trat an ihm vorbei und deutete auf den Kreis, als sei damit schon alles gesagt. »Was soll das für ein Kreis sein?«

»Runder habe ich es eben nicht hingekriegt.«

»Das ist nicht das Problem. Die Linien berühren sich nicht.«

Felix schaute genauer hin. Tatsächlich. Das Ende ging knapp am Anfang vorbei, sodass ein winziger Spalt entstand.

»Diese Linie ist alles, was dich vor dem Dämon schützt. Sie muss immer geschlossen sein, sonst kann er sie übertreten.«

Sagte der Dämon, der direkt vor ihm stand.

»Hast du das verstanden?«

Felix hasste diesen typischen Ich-weiß-es-besser-als-du-Elternblick. Trotzdem entschied er sich für den leichten Weg: einfach nachgeben. Einen Machtkampf würde er ohnehin nicht gewinnen.

»Ja, Herr.«

Schwefel drückte ihm die Kreide in der Hand. »Wir probieren das morgen nochmal. Üb bis dahin, einen gescheiten Kreis zu zeichnen.«


Felix kam sich vor wie ein Überlebender der Apokalypse, der in verlassenen Häusern nach Brauchbarem suchte, während er die Schlafzimmer eines nach dem anderen abklapperte.

Bisher war die gesamte Aktion reine Zeitverschwendung gewesen. Auch im nächsten Schrank hingen nur grauenhaft altmodische Klamotten. Selbst der kleine Teil, der weder Frauenkleidung noch von Motten verspeist worden war, bestand aus archäologischen Funden, die Felix niemals tragen würde.

Das Einzige, was halbwegs in Ordnung war, waren zwei Latzhosen aus dunkelblauem Jeansstoff. Vielleicht. Wenn er verzweifelt genug war.

»Und das war der letzte Schrank«, tat er seine Niederlage kund.

»Im Keller könnte noch etwas sein«, sagte Luise, die ihm die ganze Zeit über mit hilfsbereiten Ratschlägen zur Seite gestanden hatte.

»Nein, da gehe ich ganz bestimmt nicht runter.«

»Dann wirst du Schwefel fragen müssen.«

Der Gedanke, Schwefel um etwas bitten zu müssen, widerstrebte Felix fast noch mehr, als im dunklen Keller zu suchen. Was eventuell daran lag, dass der letzte Gefallen, den Schwefel ihm getan hatte, einen so hohen Preis gefordert hatte. Aber letztendlich, bei der Wahl zwischen Keller und Schwefel, stieg er lieber die Treppe zum dritten Stock hinauf. Allerdings nicht, ohne seinen Missmut mit einem entnervten Stöhnen zum Ausdruck zu bringen.

»So schlimm wird es schon nicht werden«, versuchte Luise ihn aufzumuntern. Versuchte. Ohne viel Erfolg.

Oben angekommen, gab es nur einen kurzen Flur mit einer einzigen Tür.

Felix holte einmal tief Luft, dann klopfte er an.

Wartete.

Nichts passierte.

Ob Schwefel schlief? Oder war er gar nicht da? Wobei Luise es sicher mitbekommen hätte, wenn er das Haus verlassen hätte.

Also, nächster Versuch. Ein bisschen fester.

Auch diesmal war die Antwort Stille.

Vielleicht sollte er es einfach lassen. Gab es da nicht ein Sprichwort, dass man schlafende Dämonen besser nicht weckte?

Doch jetzt stand er schon hier oben.

Er versuchte es noch ein letztes Mal. Wartete kurz.

Beinahe erleichtert darüber, dass es nicht geklappt hatte, wandte er sich um. Er hatte schon die Treppe erreicht, als er es Rascheln hörte. Pech gehabt, er war also doch nicht aus dem Schneider und musste wieder umdrehen.

Schwefel öffnete die Tür einen Spalt weit. »Ja?«

Er sah überhaupt nicht fein und elegant aus, wirkte eher wie ein Bär im Winterschlaf: Er trug einen Morgenmantel, hatte zerzaustes Haar und verschlafene Augen. Und seine Stimme klang dementsprechend heiser.

Es war so gar nicht, was Felix erwartet hatte. Und so dauerte es eine Sekunde, bis er begriff, dass Schwefel auf eine Antwort wartete.

Nachher mischte sich Luise noch ein, darum beeilte er sich zu sagen: »Ich finde nichts zum Anziehen …« Moment, das klang wie ein Mädchen vor einem Date. »… also, ich meine, ich habe keine Kleidung. Das heißt, bis auf diese hier natürlich. Keine Wechselkleidung. Ähm, … und ich habe jetzt alle Kleiderschränke im Haus durchsucht, konnte aber nichts finden …«

Es half nicht gerade, dass er Schwefels ungeteilte Aufmerksamkeit hatte. Ausgerechnet jetzt hörte dieser einfach nur zu, ohne Felix’ Stammeln zu unterbrechen.

Es folgte eine Sekunde des Schweigens, in der Felix am liebsten im Erdboden versunken wäre. Damit war geklärt: Schlafende Dämonen sollte man wirklich nicht wecken.

Schwefel rieb sich die Augen. »Wie spät ist es?«

»Fast 15 Uhr.«

»Okay. Ich muss heute sowieso noch etwas erledigen. Ich kann dich bei einem Kaufhaus absetzen. Gib mir dreißig Minuten.«

Damit war er auch schon wieder in seiner Bärenhöhle verschwunden und Felix blieb etwas verdattert vor der geschlossenen Tür zurück. Von der Blamage abgesehen, war das doch viel glatter gelaufen, als befürchtet.

Aus der halben wurde eine ganze Stunde, aber sie brachte eine verblüffende Verwandlung mit sich. Als Schwefel endlich die Treppe herunterkam, war sein Erscheinungsbild makellos: Jedes Haar saß an seinem Platz, sein Anzug wies keine einzige Falte auf und die Müdigkeit war verschwunden, ohne die geringste Spur zu hinterlassen.

Auf einmal ging alles ganz schnell, schon saßen sie im Auto und fuhren los.

Sie hatten gerade die Autobahn erreicht, als Schwefel sagte: »Wenn du gleich unter Leute gehst, ist hier noch eine wichtige Regel: Erzähl niemandem etwas über mich.«

»Was soll ich denn groß erzählen? Dass ich meine Seele an einen Dämon verkauft habe? Das würde mir doch sowieso kein Mensch glauben.«

»Gewöhnliche Menschen vielleicht nicht, aber man weiß nie, wer zuhört. Und noch etwas: Versuch nicht, wegzulaufen.«

»Weil das zwecklos wäre?«

»Ich würde dich überall finden, egal wo du dich versteckst. Darum erspar uns doch bitte die Mühe.«

Da in Schwefels Stimme nichts Drohendes lag, traute Felix sich, eine Frage nachzuschieben.

»Was müsst Ihr eigentlich erledigen?«

»Was Dämonen eben so tun: Verhandeln und Geschäfte abschließen. Mehr braucht dich im Moment nicht zu interessieren, das kriegst du schon noch früh genug mit.«

Offenbar hatte Felix sich verschätzt. Schwefel schien doch nicht in der Stimmung für Fragen zu sein. Darum hakte er nicht weiter nach.

Auf dem Parkplatz vor dem Einkaufszentrum gab Schwefel Felix einen fetten Stapel Scheine, als handle es sich um ein bisschen Kleingeld.

»Bin in drei Stunden wieder da«, sagte er noch, während Felix ausstieg. Dann brauste er auch schon davon.

Felix blickte an dem gewaltigen Gebäude hinauf. Vor ihm lag eine der größten Herausforderungen seines Lebens: einen ganzen Kleiderschrank füllen zu müssen.

Klamotten zu kaufen, hatte er schon immer als lästig empfunden. Ihm war völlig unverständlich, wie seine Mitschülerinnen das zum Vergnügen machten. Rastlos von Laden zu Laden ziehen zu müssen, das klang nach den Qualen der Vorhölle.

Ganz so schlimm war es dann doch nicht, das musste er sich eingestehen. Wenn er es simpel hielt – das gleiche T-Shirt mehrmals, Socken und Unterhosen nur im Set –, kam ihm die nicht zu bewältigende Aufgabe auf einmal machbar vor.

Trotzdem war er nach einer Stunde erschöpft genug, um sich eine Hotdog-Pause zu gönnen. Aber nur eine ganz kurze, sonst fände er nicht die Kraft, weiterzumachen.

Der wohl schwierigste Teil war, der Versuchung zu widerstehen, nach Videospielen zu stöbern. Es gab gleich mehrere Läden, die da in Frage kamen, und so ein großes Budget hatte er noch nie zur Verfügung gehabt. Vielleicht nur ein kleiner Blick …

Aber nein. Ohne Konsole oder PC war es sowieso sinnlos. Am besten ignorierte er die Läden komplett, betrat sie gar nicht erst.

Schwer mit Taschen beladen, verließ er nach den vollen drei Stunden das Einkaufszentrum. Seine Kraftreserven waren aufgebraucht, aber er hatte es wirklich geschafft.

Nur wurde sein Triumph schnell davon überschattet, dass Schwefel auf sich warten ließ.

Zehn Minuten, zwanzig, dreißig …

Felix suchte den Parkplatz mehrmals ab. Doch von Schwefel fehlte jede Spur.

Schließlich suchte er sich eine ruhige Ecke, wo er die Taschen zu einem improvisierten Sitzsack zusammenstellte. Während er wartete, hoffte er, dass niemand ihn ansprach. Doch glücklicherweise schien sich niemand daran zu stören, einen Jugendlichen allein dort sitzen zu sehen.

Es wurde bereits dunkel, als Schwefels Auto endlich auf den verwaisten Parkplatz fuhr. Trotz seiner Verspätung von fast zwei Stunden kam von ihm nicht ein Wort der Entschuldigung.

Während dieser zwei Stunden hatte Felix eine Vielzahl von Emotionen durchlaufen, allen voran Verärgerung. Doch inzwischen war er zu erschöpft, um sich noch zu beschweren. Stattdessen war er einfach nur erleichtert, dass er die Taschen einladen konnte und es anschließend zurück zur Villa ging.